Kapitel 7
Am Schreibtisch des Bereitschaftsraums von Commander Ramirez standen zwei Kisten mit persönlichen Gegenständen auf dem Boden, die vom Shuttle Whisper hierhergebracht worden waren. Der Raum diente den Captains des Schiffs als persönliches Büro und als Rückzugsraum. Der Schreibtisch und dazugehörige Sitze befanden sich auf der Höhe der Tür, während das langgezogene Sofa unterhalb der Fensterfront auf einer um zwei Stufen erhöhten Empore stand. Dort war auch der Replikator untergebracht, mit der sich die Kommandierende Offizierin um ihr leibliches Wohl kümmern konnte. Die Fensterfront war frontal ausgerichtet, sodass man von hier aus immer in Flugrichtung sehen konnte – ebenso wie im Konferenzraum, der spiegelbildlich auf der anderen, der Backbord-Seite der Brücke untergebracht war. Entsprechend konnte man durch die Fenster anhand der langgezogenen Lichtstreifen der vorbeiziehenden Sterne erkennen, dass das Schiff sich gerade in Warp-Geschwindigkeit vorwärts bewegte.
Noch wirkte der Raum sehr nüchtern, kalt und unbewohnt. Kein Wunder, hatte ihn Ramirez seit ihrer Ankunft an Bord der Tycho nur einmal kurz betreten.
Die Tür öffnete sich, Anna Ramirez betrat den Raum und begab sich zum Schreibtisch. Hinter ihr erschien T’Lora Soral, die grossgewachsene andorianische Verbindungsoffizierin zum Geheimdienst.
«Mrs. Soral, bitte nehmen Sie Platz.» Commander Ramirez deutete auf die Sitze vor dem Schreibtisch.
«Danke, Commander. Ich bleibe gern stehen, wenn es Ihnen recht ist.» Sie stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken.
«Wie Sie wünschen.» Ramirez überlegte, wo sie sich hinsetzen sollte, bevor sie sich dafür entschied, halb auf der Kante ihres Schreibtischs zu sitzen bzw. sich halb daran anzulehnen. «Dann schiessen Sie mal los! Ich war verwundert zu hören, dass Admiral Dunleavy Sie unserer Mission zugewiesen hat, zumal er in meinem persönlichen Mission Briefing kein Wort davon erwähnt hat.»
«Meine Versetzung hat sich erst spät konkretisiert, da hatten Sie meines Wissens Ihr Briefing schon hinter sich. Um es kurz zu machen: Mir liegen Informationen von zwei vertrauenswürdigen und unabhängigen Quellen auf Cardassia vor, die nahe legen, dass sich ein oder mehrere Spione bzw. Saboteure des Dominions an Bord befinden.»
«Das sind schlechtere Nachrichten, als ich erwartet habe», meinte Ramirez bestürzt.
«In der Tat, Commander. Darum habe ich sofort meine Versetzung als Liaison Officer verlangt. Meine Aufgabe ist esalso zu verhindern, dass die Echo-Technologie dem Dominion in die Hände fällt oder das Projekt sabotiert wird.» Sorals Antennen beugten sich nach vorne. «Ich teile diese streng geheime Information mit Ihnen aus verschiedenen Gründen: Erstens sind sie der Tycho erst zugewiesen worden, nachdem mir die geheimdienstlichen Informationen über Spione oder Saboteure an Bord bereits vorlagen. Das senkt signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass Sie der Maulwurf sind. Zweitens wird es vermutlich zu Situationen kommen, in denen es für den Erfolg der Mission kritisch ist, dass Sie Ihre Entscheidung auf Basis dieses Wissens treffen.»
«Absolut», bekräftigte Ramirez und grübelte. «Nach dieser Logik müsste auch Lieutenant Commander Keva als Verdächtige entfallen, richtig? Denn ich habe sie naturgemäss erst rekrutiert, nachdem ich das Kommando erhalten hatte.»
«Ganz ausschliessen können wir zum jetzigen Zeitpunkt nichts. Nur: Die Wahrscheinlichkeit, dass Mrs. Keva eine Agentin des Dominions ist, liegt dadurch noch tiefer als in Ihrem Fall, Commander. Das ist richtig.» Soral hob mahnend den Finger. «Ich muss Sie dennoch darauf hinweisen, dass die Informationen, die ich soeben mit Ihnen geteilt habe, streng geheim und ausschliesslich für Sie als Kommandierende Offizierin gedacht sind. Sie weiter zu teilen, selbst mit Ihrer Zweiten Offizierin Keva, erhöht das Risiko eines Informationslecks unnötig.»
«Sie haben recht. Wir behalten das für den Moment unter uns zwei. Alle anderen an Bord müssen wir entsprechend als potenzielle Agenten und Agentinnen des Dominions einstufen, richtig?»
«Richtig, Ma’am. Ich werde sofort meine Untersuchung beginnen und Massnahmen zur Spionageabwehr implementieren. Dazu benötige ich als erstes Ihre Bestätigung, dass ich meinen Dienst als Verbindungsoffizierin an Bord aufnehmen kann und die entsprechenden Weisungsbefugnisse erhalte.» Soral reichte Ramirez das PADD, das sie im Transporterraum bereits Rostov unter die Nase gehalten hatte.
Ramirez nahm es entgegen und studierte die Angaben einen stillen Moment lang. Dann aktivierte sie den Computer per Sprachbefehl: «Computer.» Es erklang der Aktivierungston. «Eintrag ins Logbuch als amtierende Captain. Hiermit tritt Lieutenant Commander T’Lora Soral mit sofortiger Wirkung und bis auf Weiteres ihren Dienst als Senior Intelligence Liaison Officer an Bord der Tycho an. Sie erhält für die Erfüllung dieser Rolle die entsprechenden Kompetenzen. Sie berichtet ausschliesslich an mich und Captain Gralok vom Geheimdienst der Sternenflotte.»
«Bestätigt», antwortete der Computer. «Logbucheintrag vermerkt.»
Ramirez gab Soral das PADD zurück. «Sonst noch etwas, was ich wissen sollte, Lieutenant Commander?»
«Ja. Bitte stellen Sie meine Anwesenheit als reine Routine bei Missionen wie dieser dar, die eine gewisse Geheimhaltungsstufe erfordern.»
«Abgemacht.»
«Ausserdem erwarte ich, dass Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich verfügbar sind», ergänzte Soral.
Ramirez hob die Augenbrauen und wich Sorals Forderung aus. «Ihre Erwartung ist notiert. Wenn das alles ist: Gute Jagd, Mrs. Soral. Wegtreten.»
«Danke ebenso, Ma’am.» Soral deutete mit ihrem Kopf eine leichte Verbeugung an und verliess den Raum.
Als sich die Türen schlossen, richtete sich Anna Ramirez auf und streckte sich. Sie wirkte auf einmal müde. «Worauf habe ich mich hier nur eingelassen», murmelte sie, hob die beiden Kisten vom Boden auf und stellte sie langsam auf den Schreibtisch.
Sie entnahm einer Kiste ein paar persönliche Gegenstände und stellte sie im Raum zur Dekoration auf. Ein Foto, auf dem sie selbst, ihre Mutter sowie vermutlich ihr Vater und zwei jüngere Geschwister zu sehen waren, stellte sie auf den Schreibtisch. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Daneben legte sie einen ein kleines Amulett aus Metall, über das sie beinahe zärtlich strich. Als nächstes nahm sie das eingerahmte Offizierspatent in die Hand, legt es jedoch rasch beiseite, denn ihr Blick fiel auf das darunter liegende Jahrgangsfoto.
Sie ergriff das längliche Bild mit einer Hand und hob es empor, um es sich näher anzuschauen. Es war darauf eine Gruppe Kadetten zu sehen, die vor der Akademie der Sternenflotte stolz mit ihren Offizierspatenten in der Hand posierten. Mit der anderen Hand fuhr sie über die Stelle, auf der sie selbst zu sehen war – direkt neben einem bolianischen Kadetten, der eindeutig als jüngere Version von Zelan Morro zu erkennen war. Beide hatten ein breites Lächeln im Gesicht und je einen Arm um die andere Person gelegt.
So, wie es nur beste Freunde tun.